Sonntag, 7. Oktober 2007
Eine Ode an den Kopf des Maultieres
Der Kopf des Maultieres befindet sich für gewöhnlich cranial des restlichen Maultierkörpers, der Mähne anschließend, vor Herz und Lunge liegend und ebenso dem After immer ungefähr zwei Meter voraus.
In seiner Ausrichtung erstreckt er sich vom vermeintlich namengebendem Maul, welches in Richtung des fruchtbaren, allem ursächlichen Erdboden weist, über die stets auf den unendlichen und nie erreichbaren Horizont gerichteten wachsamen Augen bis zu den spitzen, zum göttlichen, paradiesischen Himmel deutenden Ohren.
Seinen Namen besitzt der Kopf des Maultieres eng genommen zu unrecht, da sein Maul nach letzten Forschungsergebnissen nur 7,5% des Kopfes ausmacht. Mick Jagger verfügt über eine Maul-Kopf-Ratio von sage und schreibe 12,3%.
Der Kopf des Maultieres verfügt unleugbar über einen besonderen Geist, welcher weder dem des unglücklicherweise nah verwandten Geistes des Pferdes ähnelt, somit auch nicht dessen häufig zwischen Panik und Narzissmuss schwankenden Charakterzüge teilt; noch dem des ebenfalls verwandten Esels, welcher - ewiger Rebell und Stänker – auf Schritt und Tritt Konflikte provoziert.
Nein, der Geist des Maultiers, sich seiner unvorhergesehenen und perversen Zeugung voll bewusst und die damit einhergehende gottgewollte Strafe der eigenen Unfruchtbarkeit ohne Hinterfragung akzeptierend, ist aus anderem Holz geschnitzt. Man kann nur erahnen welch tiefgründige Gedanken ihren Ursprung im Kopf des Maultieres finden, während er seine Philosophie des praktizierten Stoizismus auslebt – dies meist bevorzugt auf belebten Strassen und dem Tod durch einen anrasenden LKW ständig in die stumpfen Augen schauend. Welch ungeheuerliche Konzentration gehört wohl dazu, inmitten vibrierenden Lärms und stinkendem Drecks heutiger Städte, solch höhere Bewusstseinszustände anzunehmen?
Man könnte denken, es wäre eine schwer zu akzeptierende Bürde des Kopf des Maultieres und einer zynischen Laune der Evolution zu verdanken, dass es über kein Sprachorgan verfügt sich mitzuteilen oder wenigstens über opponierbare Daumen, um seine Einsichten auf Papier festzuhalten.
Doch höchstwahrscheinlich würde der Kopf des Maultieres selbst dann nicht davon Gebrauch machen und stattdessen nur von Zeit zu Zeit etwas mehr Dung vor den üblichen Treffpunkten herkömmlicher Intellektueller fallen lassen.

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Dienstag, 24. April 2007
Boufhaka
Boufhaka war 42 und Sklavenhändler. Sogar einer der besten.
Er wusste genau, wo zu welchem Zeitpunkt die beste Ware zu finden war und wo er sie am besten wieder loswurde. Dieses intuitive Wissen hatte er in seinen Lehrjahren als Leibsklave bei dem besten Sklavenhändler aller Zeiten, Sir Wallace Walkabout, gelernt. Sir Wallace, oder Wally, wie ihn seine Geschäftsfreunde nannten, fand gefallen an dem damals 12 jährigen Boufhaka und nachdem er dessen Mutter und Vater an zwei arabische Mittelsmänner verscherbelt hatte und seine Geschwister wegrationiert wurden, nahm er sich des Kleinen als seinen Leibsklaven an. Boufhaka war im Nachhinein sehr dankbar dafür und verspürte sogar ein kleines bisschen reueähnliches Gefühl, wenn er darüber nachdachte wie er, sechs Jahre später, dem netten Sir Wally, seinem Lehrer, einen schweren Dolch unter die Rippen setzte und weglief um sein Glück in der Fremde zu suchen. 24 Jahre später hatte er es unbestreitbar gefunden.

Boufhaka war dank seines Riechers immer der Erste in unberührtem Gebiet, wo die Ware noch ahnungslos und frisch war und er sie nur wie reife Trauben zu ernten brauchte. Erst nachdem er neue Gebiete erschlossen hatte, kamen die Massen seiner Konkurrenten und drängten auch auf diesen Markt, der aber zu diesem Zeitpunkt meist nur noch mittelmäßige Ware ablieferte.
Ein weiteres Geheimnis Boufhaka’s Erfolgs war die strenge Optimierung des Transports von Quelle zu Markt. Er verkündete als erster Sklavenhändler seiner Zeit die Zero-Tolerance-Sklavenhaltung, da es durch aufmüpfige oder uneinsichtige Ware immer wieder zu kleineren Verlusten bei dem teueren Transportpersonal oder sogar unpünktlichen Lieferungen kam. Daher hatte er auf seinen Sklaventrecks ein wöchentliches Gerichtstribunal eingerichtet, bei dem über die Vorfälle der vorangegangenen Woche gerichtet wurde. Dieses Gericht wurde schon bald zu einer Institution und zu einem Markenzeichen seines Handels, wofür er vor drei Jahren auch eine Auszeichnung des Sklavenhändlerverbandes entgegennahm.

Boufhaka’s ganzer Stolz war sein 11 jähriger Sohn, Boufetite, welcher ihn vergötterte und seinen Vater überallhin begleitete.
„Papa, wenn ich mal groß bin, möchte ich auch so ein toller Sklavenhändler werden wie du.“
Boufhaka verstrubbelte seinem Sohn liebevoll die Haare und fühlte sich sehr ergriffen.
„Mein kleiner Bouti, du kannst alles werden was du möchtest. Erst recht Sklavenhändler.“
„Au ja, Papa.“, rief Boufetite und rannte davon, um einige Sklavenkinder gegeneinander zum Messerwerfen antreten zu lassen.
Einige Wochen später war es wieder mal Zeit für das wöchentliche Gericht und Boufhaka hatte eine Idee.
„Bouti, kleiner Racker, komm mal her und hör mir zu.“
„Ja, Papa?“, Boufetite stand mit großen Augen vor seinem gewaltigen Vater.
„Setz dich auf meinen Schoss. So ist’s recht.“
„Also, ich weiss, dass du nächste Woche Geburtstag hast und daher habe ich mir ein kleines Geschenk überlegt, was du schon heute bekommen sollst.“
Boufetite’s Augen sprangen noch ein Stück vor.
„Was denn, Papa? Was denn? Bitte sag schon. Büttebüttebüttebütte…“
„Nun, da du dir doch so doll wünschst einmal Sklavenhändler zu sein, wie fändest du es, heute einmal das Gericht zu leiten?“
Boufetite sprang vom Schoss seines Vaters und schaute diesen ungläubig an.
„Eeeeehrlich?“
„Ehrlich.“
Boufetite schrie wild auf und rannte wie von der Tarantel gestochen aus dem Zelt.
„Vergiss nicht, in zwei Stunden geht es los“, rief ihm sein milde lächelnder Vater hinterher.

Zwei Stunden später saß Boufetite auf dem alten, hölzernen und schweren Stuhl unter einer Akazie vor dem provisorisch eingerichteten Gerichtsplatz. Neben ihm stand sein Vater der mit klaren Kommandos das Treiben auf dem kleinen Sandplatz vor ihnen ordnete. Die Sklaven knieten im Kreis um den Platz und das bewaffnete Personal suchte gerade die heute zu verhandelnden Fälle heraus.
Schließlich wurde ein Mann mittlerer Größe mit rabenschwarzer Haut von dem obersten Warenaufseher vorgeführt.
„Dieses Objekt versuchte vor drei Tagen Teigreste aus einer Schüssel zu stehlen.“, deklamierte der übelgelaunte Aufseher mit fester Stimme.
„So mein Sohn, jetzt liegt es an dir. Was soll mit der Ware geschehen? Denk dran, wir dürfen sie nicht verschwenden, aber müssen auch eine klare Linie fahren die allen verständlich macht, dass es so nicht geht.“, raunte der Vater seinem etwas hilflos schauendem Sohn zu.
„Hmm, also…ähm…meinst du wir sollten ihm einen Finger abschlagen?“, flüsterte Boufetite seinem Vater zu.
„Vorzüglich mein Sohn. Etwas gnädig, aber trotzdem gut.“
Boufetite fasste etwas Mut und sagte lauter, „Man schlage ihm einen Finger ab!“.
Der Warenaufseher nickte missbilligend, ob des milden Urteils, und zog den Sklaven, der kein Wort verstand, vom Platz.
Boufetite war beglückt und schaute seinen Vater lobsuchend und strahlend an.
„Das war sehr gut. Aber du solltest noch etwas kreativer werden.“
Kurze Zeit später wurde der nächste vorgeführt.
„Dieses Objekt stützte sich während des Marsches auf eines der Maultiere, weswegen eine Kiste mit Teppichen herabrutschte.“
Die vorgeführte Frau schaute irritiert in die Runde und Boufetite überlegte kurz bevor er sagte: „Man entferne eine Hand und mische eine Woche lang Maultierdung in ihr Essen.“
„Das war schon viel besser, Bouti.“, bestätigte der stolze Vater.
Boufetite begann sich etwas sicherer zu fühlen und in seinen Augen entzündete sich ein kleines Glühen, welches mit jedem weiteren Fall stärker wurde.
Fuss ab, Auge raus, Zunge weg – den ganzen Vormittag ging es so weiter und die Urteile kamen jedes Mal schneller und wurden ausgefeilter und grausamer.

Zwischenzeitlich verabschiedete sich Boufhaka, da er noch etwas zu erledigen hatte und kam erst zur Verhandlung der letzten zwei Fälle wieder zum Gericht unter der Akazie.
Sein Sohn beachtete sein Wiedererscheinen kaum und schaute aus funkelnden Augen, die schon etwas rotunterlaufen waren, da er vergas zu blinzeln, auf die vorgeführte Ware.
„Dieses Objekt hörte nicht auf einen Befehl.“, sprach der Warenaufseher.
„Nun, dann nehme man ihm das rechte Ohr ab und binde es drei Tage vor seinen Mund, auf dass er lerne zuzuhören.“
Die Laune des Warenaufsehers hatte sich merklich aufgebessert und er grinste mittlerweile bei jedem Urteil.
Boufhaka stand verblüfft neben seinem Sohn und nickte dem Aufseher bestätigend zu.
„Dieses Objekt versuchte Essen von den Schweinen zu stehlen und mit einem anderen Objekt Wolllust zu treiben.“
Boufetite haute mit der Faust auf eine der hölzernen Armlehnen und verkündete mit heiserer Stimme: „Man soll ihm die Hoden abschneiden und ihm aushändigen, damit er sie den Schweinen verfüttert!“
Der Warenaufseher verkündete mit Respekt in der Stimme, dass dies der letzte Fall gewesen war und Boufetite sprang ohne ein Wort vom Stuhl, warf einen Stein in die Menge der restlichen Ware und ging in das mit seinem Vater geteilte Zelt.
Boufhaka stand immer noch verblüfft und rätselnd neben dem Stuhl und schaute seinem Sohn mit ernsthafter Verwunderung hinterher. Natürlich war er stolz auf ihn. Er hatte sich sehr gut geschlagen. Er wird sicherlich mal ein verdammt guter Sklavenhändler sein.
Aber vielleicht ist es auch an der Zeit, dass er in einem eigenen Zelt schläft.

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Samstag, 14. Oktober 2006
Mittwoch
„Gut, dann lass uns über das Leben sprechen“, beschloss Farnstoff und bestellte mit einem Wink auf die leeren Gläschen auf ihrem Tisch zwei weitere Himbeerliköre. Schließlich war gestern Dienstag.
Sein Gegenüber zog die Augenbrauen hoch und schaute etwas skeptisch.
„Wenn’s sein muss. Dann mal los.“
„Also was ist das Leben?“, fragte Farnstoff und klopfte ein leeres Glas betonend auf den Tisch mit dem Holzimitatsueberzug.
Sein Tischnachbar zog ein letztes Mal an seiner Mentholzigarette, bevor er sie ausdrückte und ohne zu zögern antwortete.
„Das Leben ist wie ein chinesischer Lieferimbiss: Du wirst gefragt was du willst, sagst dass du die Nummer 45, Ente süß-sauer, bestellst, bekommst gesagt dass Ente gerade aus sei, entscheidest dich für Nummer 50, Schwein in Erdnusssauce, erwartest das Essen in 20min und bekommst nach 1 Stunde ein kaltes Gericht Nummer 15, Frühlingsrolle. Schmeckt aber ganz okay.“
Während er sich eine neue Mentholzigarette anzündete, stellte der Kellner die zwei Gläschen Himbeerlikör auf ihren Tisch.
Farnstoff kippte einen davon runter und nickte seinem Gesprächspartner fragend zu.
„Nee, lass nur. Ich trink schon lange nicht mehr. Und wenn, dann nur Milch.“
„Weil gestern Dienstag war.“, rechtfertigte Farnstoff und kippte den zweiten Likör.
„Du solltest mal deine Leber kontrollieren lassen.“
Farnstoff war seine Leber reichlich wurscht. Er dachte kurz über die Lebenssache nach.
„Ziemlich flach, was du da gesagt hast, findest du nicht?“, meinte er schließlich.
„Stimmt. Hab ich mir auch spontan einfallen lassen.“
„Ja toll. Und ne richtige Antwort hast du nicht parat?“
„Hör mal, warum willst du das überhaupt wissen?“
Farnstoff schaute auf die leeren Gläser vor ihm und dann in Richtung eines imaginären Horizontes hinter der Theke, bevor er antwortete.
„Naja, manchmal denke ich, dass andere Leute mehr Leben haben als ich. Also ihr Leben scheint praller, verstehst du? Mehr Wumms und so.“ Um das Wumms zu betonen klatschte er kurz seine rechte Faust in die offene linke Hand.
„Hmm. Kann sein.“
„Was ‚Kann sein’? Das andere Leute mehr Leben haben oder dass du mich verstehst?“ , Farnstoff wurde langsam etwas ungeduldig mit dem Typ.
„Beides.“
„Klasse Antwort. Das hilft mir ungemein. Da kannst du auch gleich sagen ‚Das kann man so und so sehen’.“
Sein Gesprächspartner runzelte leicht verächtlich die Stirn über den Frust in Farnstoffs Stimme.
„Na, deine Frage ist ja auch nicht gerade sehr exakt, nicht wahr?“
„Ist halt so. Ich will auch gar nicht den Sinn des Lebens wissen, der ist mir schnuppe. Aber ich will nicht mit siebzig eines Morgens aufwachen, um plötzlich zu ka-„, Farnstoff musste kurz rülpsen, “’Tschuldige - Um plötzlich zu kapieren, dass ich immer nur die Hälfte des Buffets gesehen hab.“
Sein Gegenüber hatte sich zurückgelehnt und schien mit den Gedanken ganz woanders zu sein, während er blaugrauen Mentholrauch in die Luft blies. Farnstoff schaute ihn erwartungsvoll an und für einige Sekunden herrschte Stille am Tisch.
„Nun?“, bracht er schließlich heraus und sein Gegenüber wandte sich ihm mit fragend hochgezogenen Augenbrauen wieder zu.
„Hä? Ach so, halbes Buffet. Ja, so was ist übel. Da hast du Recht.“, bestätigend nickte er Farnstoff zu. “Du pass auf, ich hab heute noch einiges zu tun und muss jetzt mal los. War aber schön ein bisschen mit dir zu plaudern.“
Er schob seinen Stuhl zurück, stand auf und drückte seine erst halb aufgerauchte Zigarette im Aschenbecher aus. Während er an Farnstoff vorbei ging, klopfte er ihm aufmunternd auf die Schulter.
„Wird schon werden, mein Freund. Wird schon werden.“
Farnstoff war perplex.
„Wie jetzt? Das soll alles gewesen sein? Super, echt super. Da hätt’ ich ja gleich zuhause vor der Glotze bleiben oder in die Kirche zum beten gehen können.“
Sein aufbrechender Tischgenosse blieb kurz stehen und schaute Farnstoff nachdenklich und etwas bemitleidend an. Schließlich beugte er sich zu ihm herunter.
„Ok, wie wär’s damit: Leben ist Bewegung. Machs gut.“ Und damit ging er durch die Kneipe in Richtung Ausgang.
Farnstoff hielt kurz inne, schnaubte dann verächtlich aus und nuschelte mit näselnder Stimme leise vor sich hin, „’Leben ist Bewegung’, ‚Leben ist Bewegung’…So ne Pfeife.“
In der Tür blieb sein ehemaliger Gesprächspartner kurz stehen, drehte sich zu ihm um, zeigte mit dem Zeigefinger auf ihn und in Farnstoffs Kopf schallte es, „Pass bloß auf!“ .
Farnstoff zuckte kurz zusammen und bestellte noch eine Runde Himbeerlikör.
Sein Treffen mit Gott hatte er sich echt anders vorgestellt.

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