Samstag, 14. Oktober 2006
Mittwoch
„Gut, dann lass uns über das Leben sprechen“, beschloss Farnstoff und bestellte mit einem Wink auf die leeren Gläschen auf ihrem Tisch zwei weitere Himbeerliköre. Schließlich war gestern Dienstag.
Sein Gegenüber zog die Augenbrauen hoch und schaute etwas skeptisch.
„Wenn’s sein muss. Dann mal los.“
„Also was ist das Leben?“, fragte Farnstoff und klopfte ein leeres Glas betonend auf den Tisch mit dem Holzimitatsueberzug.
Sein Tischnachbar zog ein letztes Mal an seiner Mentholzigarette, bevor er sie ausdrückte und ohne zu zögern antwortete.
„Das Leben ist wie ein chinesischer Lieferimbiss: Du wirst gefragt was du willst, sagst dass du die Nummer 45, Ente süß-sauer, bestellst, bekommst gesagt dass Ente gerade aus sei, entscheidest dich für Nummer 50, Schwein in Erdnusssauce, erwartest das Essen in 20min und bekommst nach 1 Stunde ein kaltes Gericht Nummer 15, Frühlingsrolle. Schmeckt aber ganz okay.“
Während er sich eine neue Mentholzigarette anzündete, stellte der Kellner die zwei Gläschen Himbeerlikör auf ihren Tisch.
Farnstoff kippte einen davon runter und nickte seinem Gesprächspartner fragend zu.
„Nee, lass nur. Ich trink schon lange nicht mehr. Und wenn, dann nur Milch.“
„Weil gestern Dienstag war.“, rechtfertigte Farnstoff und kippte den zweiten Likör.
„Du solltest mal deine Leber kontrollieren lassen.“
Farnstoff war seine Leber reichlich wurscht. Er dachte kurz über die Lebenssache nach.
„Ziemlich flach, was du da gesagt hast, findest du nicht?“, meinte er schließlich.
„Stimmt. Hab ich mir auch spontan einfallen lassen.“
„Ja toll. Und ne richtige Antwort hast du nicht parat?“
„Hör mal, warum willst du das überhaupt wissen?“
Farnstoff schaute auf die leeren Gläser vor ihm und dann in Richtung eines imaginären Horizontes hinter der Theke, bevor er antwortete.
„Naja, manchmal denke ich, dass andere Leute mehr Leben haben als ich. Also ihr Leben scheint praller, verstehst du? Mehr Wumms und so.“ Um das Wumms zu betonen klatschte er kurz seine rechte Faust in die offene linke Hand.
„Hmm. Kann sein.“
„Was ‚Kann sein’? Das andere Leute mehr Leben haben oder dass du mich verstehst?“ , Farnstoff wurde langsam etwas ungeduldig mit dem Typ.
„Beides.“
„Klasse Antwort. Das hilft mir ungemein. Da kannst du auch gleich sagen ‚Das kann man so und so sehen’.“
Sein Gesprächspartner runzelte leicht verächtlich die Stirn über den Frust in Farnstoffs Stimme.
„Na, deine Frage ist ja auch nicht gerade sehr exakt, nicht wahr?“
„Ist halt so. Ich will auch gar nicht den Sinn des Lebens wissen, der ist mir schnuppe. Aber ich will nicht mit siebzig eines Morgens aufwachen, um plötzlich zu ka-„, Farnstoff musste kurz rülpsen, “’Tschuldige - Um plötzlich zu kapieren, dass ich immer nur die Hälfte des Buffets gesehen hab.“
Sein Gegenüber hatte sich zurückgelehnt und schien mit den Gedanken ganz woanders zu sein, während er blaugrauen Mentholrauch in die Luft blies. Farnstoff schaute ihn erwartungsvoll an und für einige Sekunden herrschte Stille am Tisch.
„Nun?“, bracht er schließlich heraus und sein Gegenüber wandte sich ihm mit fragend hochgezogenen Augenbrauen wieder zu.
„Hä? Ach so, halbes Buffet. Ja, so was ist übel. Da hast du Recht.“, bestätigend nickte er Farnstoff zu. “Du pass auf, ich hab heute noch einiges zu tun und muss jetzt mal los. War aber schön ein bisschen mit dir zu plaudern.“
Er schob seinen Stuhl zurück, stand auf und drückte seine erst halb aufgerauchte Zigarette im Aschenbecher aus. Während er an Farnstoff vorbei ging, klopfte er ihm aufmunternd auf die Schulter.
„Wird schon werden, mein Freund. Wird schon werden.“
Farnstoff war perplex.
„Wie jetzt? Das soll alles gewesen sein? Super, echt super. Da hätt’ ich ja gleich zuhause vor der Glotze bleiben oder in die Kirche zum beten gehen können.“
Sein aufbrechender Tischgenosse blieb kurz stehen und schaute Farnstoff nachdenklich und etwas bemitleidend an. Schließlich beugte er sich zu ihm herunter.
„Ok, wie wär’s damit: Leben ist Bewegung. Machs gut.“ Und damit ging er durch die Kneipe in Richtung Ausgang.
Farnstoff hielt kurz inne, schnaubte dann verächtlich aus und nuschelte mit näselnder Stimme leise vor sich hin, „’Leben ist Bewegung’, ‚Leben ist Bewegung’…So ne Pfeife.“
In der Tür blieb sein ehemaliger Gesprächspartner kurz stehen, drehte sich zu ihm um, zeigte mit dem Zeigefinger auf ihn und in Farnstoffs Kopf schallte es, „Pass bloß auf!“ .
Farnstoff zuckte kurz zusammen und bestellte noch eine Runde Himbeerlikör.
Sein Treffen mit Gott hatte er sich echt anders vorgestellt.

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Himbeerlikör, Mentholzigaretten....puh...du kennst mal Zeugs...

Aber klasse Geschichte...

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Himbeerlikoer kenn ich nur aus dem elterlichen Gefrierschrank meiner Kindheit. War ne schoene Flasche...

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Gemessen an der Tatsache, daß es auch Himbeeressig und Himbeersenf gibt, ist Himbeerlikör doch harmlos.

Aber schöne Geschichte, und das sage ich nicht, weil gestern Freitag war. Nur daß Gott Mentholzigaretten rauchen soll, naja....

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ein metholzigaretten-rauchender gott. mensch, das find ich klasse! wie auch die ganze story. schön, witzig, nachdenklich, pfiffig.

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wunderbar - Zampano in Höchstform :) - hatte mich nur etwas dran gewöhnen müssen, dass Farnstoff plötzlich ein Mensch ist ;) - oder trinken Kragenbären Himbeerlikör?

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Naja, wie will man von einem Gott, der keinen Himbeerlikör trinkt, Antworten erwarten. Also ehrlich. :-) Aber es ist eine sehr schöne Geschichte, ich kann mich denen da oben nur anschließen.

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Auch Kragenbären wollen mehr über den Sinn des Lebens erfahren...da scheint mir ein Mentholzigarettenrauchender Gott der richtige Ansprechpartner zu sein :-)

P.s.: Schließe mich an - eine sehr hübsche Geschichte!!

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In diesem Fall dachte ich an Farnstoff als einen Menschen, aber wem die Geschichte besser gefaellt mit Kragenbaeren, dem steht es frei sie sich so vorzustellen...;-) Wer weiss schon was die so alles waehrend der langen Wintermonate im Bau treiben...

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Immer unterwegs, der Gott, und kurz angebunden. Und dieses unverbindliche "Wird schon werden.", dass war klar. Was soll man schon von Mentholzigaretten rauchenden und Milch trinkenden Typen erwarten. ;-)

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Verdammt gute Geschichte! Bin begeistert.

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Ja, wenn es einen Gott gibt, dann betrachtet er unsere Interpretationen und Vorstellungen vom menschlichen Leben mit großer Distanz oder unter einem völlig anderen Blickwinkel. Sollten wir vielleicht auch öfters mal tun...

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