Dienstag, 24. April 2007
Boufhaka
Boufhaka war 42 und Sklavenhändler. Sogar einer der besten.
Er wusste genau, wo zu welchem Zeitpunkt die beste Ware zu finden war und wo er sie am besten wieder loswurde. Dieses intuitive Wissen hatte er in seinen Lehrjahren als Leibsklave bei dem besten Sklavenhändler aller Zeiten, Sir Wallace Walkabout, gelernt. Sir Wallace, oder Wally, wie ihn seine Geschäftsfreunde nannten, fand gefallen an dem damals 12 jährigen Boufhaka und nachdem er dessen Mutter und Vater an zwei arabische Mittelsmänner verscherbelt hatte und seine Geschwister wegrationiert wurden, nahm er sich des Kleinen als seinen Leibsklaven an. Boufhaka war im Nachhinein sehr dankbar dafür und verspürte sogar ein kleines bisschen reueähnliches Gefühl, wenn er darüber nachdachte wie er, sechs Jahre später, dem netten Sir Wally, seinem Lehrer, einen schweren Dolch unter die Rippen setzte und weglief um sein Glück in der Fremde zu suchen. 24 Jahre später hatte er es unbestreitbar gefunden.

Boufhaka war dank seines Riechers immer der Erste in unberührtem Gebiet, wo die Ware noch ahnungslos und frisch war und er sie nur wie reife Trauben zu ernten brauchte. Erst nachdem er neue Gebiete erschlossen hatte, kamen die Massen seiner Konkurrenten und drängten auch auf diesen Markt, der aber zu diesem Zeitpunkt meist nur noch mittelmäßige Ware ablieferte.
Ein weiteres Geheimnis Boufhaka’s Erfolgs war die strenge Optimierung des Transports von Quelle zu Markt. Er verkündete als erster Sklavenhändler seiner Zeit die Zero-Tolerance-Sklavenhaltung, da es durch aufmüpfige oder uneinsichtige Ware immer wieder zu kleineren Verlusten bei dem teueren Transportpersonal oder sogar unpünktlichen Lieferungen kam. Daher hatte er auf seinen Sklaventrecks ein wöchentliches Gerichtstribunal eingerichtet, bei dem über die Vorfälle der vorangegangenen Woche gerichtet wurde. Dieses Gericht wurde schon bald zu einer Institution und zu einem Markenzeichen seines Handels, wofür er vor drei Jahren auch eine Auszeichnung des Sklavenhändlerverbandes entgegennahm.

Boufhaka’s ganzer Stolz war sein 11 jähriger Sohn, Boufetite, welcher ihn vergötterte und seinen Vater überallhin begleitete.
„Papa, wenn ich mal groß bin, möchte ich auch so ein toller Sklavenhändler werden wie du.“
Boufhaka verstrubbelte seinem Sohn liebevoll die Haare und fühlte sich sehr ergriffen.
„Mein kleiner Bouti, du kannst alles werden was du möchtest. Erst recht Sklavenhändler.“
„Au ja, Papa.“, rief Boufetite und rannte davon, um einige Sklavenkinder gegeneinander zum Messerwerfen antreten zu lassen.
Einige Wochen später war es wieder mal Zeit für das wöchentliche Gericht und Boufhaka hatte eine Idee.
„Bouti, kleiner Racker, komm mal her und hör mir zu.“
„Ja, Papa?“, Boufetite stand mit großen Augen vor seinem gewaltigen Vater.
„Setz dich auf meinen Schoss. So ist’s recht.“
„Also, ich weiss, dass du nächste Woche Geburtstag hast und daher habe ich mir ein kleines Geschenk überlegt, was du schon heute bekommen sollst.“
Boufetite’s Augen sprangen noch ein Stück vor.
„Was denn, Papa? Was denn? Bitte sag schon. Büttebüttebüttebütte…“
„Nun, da du dir doch so doll wünschst einmal Sklavenhändler zu sein, wie fändest du es, heute einmal das Gericht zu leiten?“
Boufetite sprang vom Schoss seines Vaters und schaute diesen ungläubig an.
„Eeeeehrlich?“
„Ehrlich.“
Boufetite schrie wild auf und rannte wie von der Tarantel gestochen aus dem Zelt.
„Vergiss nicht, in zwei Stunden geht es los“, rief ihm sein milde lächelnder Vater hinterher.

Zwei Stunden später saß Boufetite auf dem alten, hölzernen und schweren Stuhl unter einer Akazie vor dem provisorisch eingerichteten Gerichtsplatz. Neben ihm stand sein Vater der mit klaren Kommandos das Treiben auf dem kleinen Sandplatz vor ihnen ordnete. Die Sklaven knieten im Kreis um den Platz und das bewaffnete Personal suchte gerade die heute zu verhandelnden Fälle heraus.
Schließlich wurde ein Mann mittlerer Größe mit rabenschwarzer Haut von dem obersten Warenaufseher vorgeführt.
„Dieses Objekt versuchte vor drei Tagen Teigreste aus einer Schüssel zu stehlen.“, deklamierte der übelgelaunte Aufseher mit fester Stimme.
„So mein Sohn, jetzt liegt es an dir. Was soll mit der Ware geschehen? Denk dran, wir dürfen sie nicht verschwenden, aber müssen auch eine klare Linie fahren die allen verständlich macht, dass es so nicht geht.“, raunte der Vater seinem etwas hilflos schauendem Sohn zu.
„Hmm, also…ähm…meinst du wir sollten ihm einen Finger abschlagen?“, flüsterte Boufetite seinem Vater zu.
„Vorzüglich mein Sohn. Etwas gnädig, aber trotzdem gut.“
Boufetite fasste etwas Mut und sagte lauter, „Man schlage ihm einen Finger ab!“.
Der Warenaufseher nickte missbilligend, ob des milden Urteils, und zog den Sklaven, der kein Wort verstand, vom Platz.
Boufetite war beglückt und schaute seinen Vater lobsuchend und strahlend an.
„Das war sehr gut. Aber du solltest noch etwas kreativer werden.“
Kurze Zeit später wurde der nächste vorgeführt.
„Dieses Objekt stützte sich während des Marsches auf eines der Maultiere, weswegen eine Kiste mit Teppichen herabrutschte.“
Die vorgeführte Frau schaute irritiert in die Runde und Boufetite überlegte kurz bevor er sagte: „Man entferne eine Hand und mische eine Woche lang Maultierdung in ihr Essen.“
„Das war schon viel besser, Bouti.“, bestätigte der stolze Vater.
Boufetite begann sich etwas sicherer zu fühlen und in seinen Augen entzündete sich ein kleines Glühen, welches mit jedem weiteren Fall stärker wurde.
Fuss ab, Auge raus, Zunge weg – den ganzen Vormittag ging es so weiter und die Urteile kamen jedes Mal schneller und wurden ausgefeilter und grausamer.

Zwischenzeitlich verabschiedete sich Boufhaka, da er noch etwas zu erledigen hatte und kam erst zur Verhandlung der letzten zwei Fälle wieder zum Gericht unter der Akazie.
Sein Sohn beachtete sein Wiedererscheinen kaum und schaute aus funkelnden Augen, die schon etwas rotunterlaufen waren, da er vergas zu blinzeln, auf die vorgeführte Ware.
„Dieses Objekt hörte nicht auf einen Befehl.“, sprach der Warenaufseher.
„Nun, dann nehme man ihm das rechte Ohr ab und binde es drei Tage vor seinen Mund, auf dass er lerne zuzuhören.“
Die Laune des Warenaufsehers hatte sich merklich aufgebessert und er grinste mittlerweile bei jedem Urteil.
Boufhaka stand verblüfft neben seinem Sohn und nickte dem Aufseher bestätigend zu.
„Dieses Objekt versuchte Essen von den Schweinen zu stehlen und mit einem anderen Objekt Wolllust zu treiben.“
Boufetite haute mit der Faust auf eine der hölzernen Armlehnen und verkündete mit heiserer Stimme: „Man soll ihm die Hoden abschneiden und ihm aushändigen, damit er sie den Schweinen verfüttert!“
Der Warenaufseher verkündete mit Respekt in der Stimme, dass dies der letzte Fall gewesen war und Boufetite sprang ohne ein Wort vom Stuhl, warf einen Stein in die Menge der restlichen Ware und ging in das mit seinem Vater geteilte Zelt.
Boufhaka stand immer noch verblüfft und rätselnd neben dem Stuhl und schaute seinem Sohn mit ernsthafter Verwunderung hinterher. Natürlich war er stolz auf ihn. Er hatte sich sehr gut geschlagen. Er wird sicherlich mal ein verdammt guter Sklavenhändler sein.
Aber vielleicht ist es auch an der Zeit, dass er in einem eigenen Zelt schläft.

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urkomisch, drastisch, tragisch, wunderbar.

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Das freut mich. Genau so sollte es sein. ;)

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hach, ditt hui.... *schwelg....

„Nun, dann nehme man ihm das rechte Ohr ab und binde es drei Tage vor seinen Mund, auf dass er lerne zuzuhören.“

ich fürchte mich ein wenig vor deiner kreativität....

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*g* Ja, ich muss sagen, auf diese Idee war ich selbst ein bischen stolz und habe mich gefragt wie das wohl rüberkommt... ;))

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oh du wärst ein großartiges diktator-hui. ;))

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....mannomann...mit so jemandem war ich also ne Pizza essen. Das hätte man mir mal vorher sagen sollen...

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;)

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Sehr sehr makaber - aber gut!

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Klar, makaber muss auch mal sein.
Dankeschön.

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gefällt mir sehr, kreativ, spannend und eine Thematik, die mich schon länger interessiert ...
Wo ist eigentlich Kuntakinte ? :-)

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Frisch verliebt und interessiert in Sklavenhändlern, Verstümmelungen und Ausbeutung? Muss man sich Gedanken machen? ;-)

Kuntakinte? Meinst du den?

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ja, genau, ich habe die Serie geliebt (damals!) wollte dann unbedingt einen Sklaven einen Black Man zum Freund .... :-)
Hat nicht so wirklich geklappt, tja, die Schmetterlinge flattern, aber meine dunkle Seite lebt :-) :-)

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Herrlich! Irgendwie ne Mischung aus TC Boyle ("Wassermusik") und Josph Conrad ("Herz der Finsternis")

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hehe, wie kommts bloss? ;)
Freut mich aber.

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Ui - böse, böse... - sehr feine Geschichte! Mehr davon bitte :)

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Naja, willst du gelten mach dich selten. ;-)
Puh, gute Ausrede für mangelnde Produktivität

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Ganz Groß! Erinnert mich an T.C. Boyle. Bitte mehr.

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Dankeschön.
Leider ist mein Monsieur Kreativ im Moment sehr, sehr unzuverlässig und läßt sich ganz schön bitten. Aber sobald er sich mal wieder meldet, wird es sicherlich hier stehen.

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