Samstag, 13. Mai 2006
Mein erstes Mal
oder der längste Tag meines Lebens.

Warnhinweis

Folgender Inhalt sollte von empfindlichen, weiblichen Leserinnen geflissentlich ignoriert werden. Ich finde es ja halb so schlimm, aber na ja…

Es war in einem Sommer vor 4 Jahren, dass ich ein Praktikum in der Türkei an einer dortigen Universität gemacht habe.
Alles war bestens: Gutes Wetter, sehr nette hilfsbereite Ärzte und Studenten, schöne Umgebung, ich konnte einiges lernen, unter anderem z.B. professionell Backgammon spielen, wo wesentlich mehr dazugehört, als einfach nur zu würfeln; kurzum, ich habe mich rundum wohl gefühlt.



Dann kam Prof. Metin aus dem „Urlaub“ zurück.
Wie ich später erst herausbekam, war er nicht im „Urlaub“ sonder in einer Art psychiatrischen Behandlung, was mich im Nachhinein gar nicht verwundert.
Nun ergab es sich so, dass die Klinik nicht allzu groß war und ich natürlich irgendwann dem mit zerzaustem Haar durch die Gegend eilenden Prof. begegnete:
Begeisterung, schlechter Mundgeruch, geschüttelte Hände die nicht mehr losgelassen wurden seinerseits und skeptische Höflichkeit meinerseits folgten.
Schon da offenbarte sich sein wirrer, hektischer Zustand, aber viel schlimmer war, dass er der Meinung war Deutsch zu können, was definitiv nicht mal im Ansatz stimmte. Das irritierte ihn aber nicht, sondern er plauderte in seinem Deutsch-Englisch-Türkisch Kauderwelsch munter vor sich hin, während er mich immer wieder ermahnte doch Deutsch mit ihm zu reden, was er allerdings wiederum nicht verstand. War ihm dann aber auch egal, da es ihm hauptsächlich darum ging, selbst seine Weisheiten loszuwerden.
Leider, leider hatte er gar nicht viel Zeit, aber da ich einer der zwei ersten westeuropäischen Studenten an der Klinik war, hielt er es für seine Pflicht, mich unter seine Fittiche zu nehmen. Es folgte unvermeidlicherweise die hochoffizielle Einladung zu sich und seiner Familie nach Hause zum Abendessen.

Fortsetzung in den Kommentaren

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Während der nächsten Tage erntete ich viele mitleidvolle Blicke, sobald Prof. Metin mich zum Tee in der Caféteria oder zum Assistieren einlud oder mir einfach nur kurz den Arm verschworen auf die Schulter legte und quatschen wollte. Nach fünf Minuten Unterhaltung mit ihm, fühlte ich mich jedes Mal gerädert und atmete erstmal tief durch, sobald er verschwunden war. Meine Güte war das anstrengend.

Schließlich kam der Tag der Einladung.
Ich hatte mir vorgestellt, abends abgeholt zu werden, bei ihm zu essen und zwei, drei Stunden später wieder fort zu sein….Welch naiver Wunschtraum...
Prof. Metin kam mich um 14:00 abholen. Daraufhin sind wir einkaufen und schließlich zu seinem Haus gefahren, was mir eindeutig schon an Interaktion gereicht hätte und wo er dann mir seine wirklich überaus nette und sympathische Familie, sprich Tochter und Frau vorstellte. Mit denen konnte ich allerdings nur wenige Sätze austauschen, sofort hieß es, ich solle in den Salon kommen und mit IHM reden.
Auf Deutsch!
Was er nicht verstand!
Und er dann irgendetwas vollkommen unzusammenhängendes erzählte, auf dass er aber konkrete Rückmeldungen bekommen wollte und nicht bloß mein sehr beliebtes und energiesparendes „Hmmmhmm“ oder alternativ auch mal „Mmmmmh“, wenn’s mich nicht interessiert oder es einfach keinen Sinn macht zu antworten.

So saßen wir dort zwei Stunden - dann wurde Frau gerufen, sie solle mir doch ihre Gemälde vorführen. Es folgte eine kleine private Vernissage, der gar nicht mal so schlecht von berühmten Motiven abgekupferten Gemälde der Frau Gemahlin.
Da ich durchweg - natürlich – sehr angetan war, wollte sie mir unbedingt eines der mäßigen, nicht abgekupferten, Bilder schenken. Ich war ganz ehrlich gerührt und leicht beschämt, zierte mich gebührend, konnte aber letztendlich nicht ausschlagen.

Endlich ging es zum Essen und ich merkte schon, dass ich einen etwas unwohlen Magen hatte, der sich langsam bemerkbar machte. Das Essen war mächtig, aber recht gut. Nur leider forderte der hektische Prof. die ganze Zeit meine Aufmerksamkeit.

Durchhalten, spornte ich mich an, bald hast du es ja geschafft.

Dann gab es wieder einen Tee und etwas später einen kleinen Nachtisch, während ich mittlerweile deutliche Krämpfe im Magen hatte. Ich wollte am liebsten nur noch schweigen, aber das ging ja nicht. Draußen war es schon dunkel.
Endlich war es soweit: Aufbruch. Mir ist ein wahnwitzig großer Stein vom Herzen gefallen und war auf einmal sehr kommunikativ, bedankte mich für alles artig und wunderte mich nur, warum die ganze Familie mit ins Auto stieg. Als das Auto an der Klinik, wo mein Zimmer war, vorbei fuhr, wurde mir etwas flau im Magen und es stellte sich ein, alle Hoffnung fahren lassender, Tunnelblick ein. Es war also noch nicht vorbei ?!?.
Wir fuhren klebrige, türkische Süßigkeiten einkaufen und anschließend zu einem, ganz ehrlich, wunderschönen riesigen Teegarten auf dem in der Nähe der Stadt befindlichen Berg. Für die Schönheit hatte ich nur wenig Blicke übrig, denn zu dem Zeitpunkt plagten mich sehr periodisch aufkommende Bauchkrämpfe und mir war hundelend, aber ich versuchte gute Miene zu machen und schaute mich in weiser Voraussicht vorsichtig nach als Klopapier verwertbaren Sachen um. Keine Servierten, kein Papier, nix. Ich bekam die Unterhaltungen nicht mehr so richtig mit und irgendwann ging es nicht mehr anders: Ich musste aufs türkische Örtchen, koste es was es wolle.

Dort ist mir ein Einfall gekommen, Halleluja!, der mir den Abend gerettet hat, meine Probleme löste und mich bis heute mit einem gewissen Stolz erfüllt: Kein Klopapier da, aber im Portemonnaie ein Bündel großformatiger 1-Million-Lire Scheine….kombiniere, kombiniere. ;-))))
Und ich hatte immer gedacht, ich müsste erst ein stinkreicher, Goldgebiss tragender, millionenschwerer Rentner werden, bis ich soweit bin, Millionen in dieser Art zu missbrauchen….Aber schon mit 25!?!?! Ach war das schön!

Ich fühlte mich beschwingt und mit einem leichten Grinsen auf den Lippen und einer plötzlich wiederkehrenden Aufmerksamkeitsenergie brachte ich den Abend zu einem glanzvollen Ende und wurde gegen 1:00 zuhause abgesetzt.

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Du bist ein höflicher und wohlerzogener Gast. Schöne Geschichte.

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Naja, ging halt nicht anders. Die restliche Zeit in der Klinik, habe ich jedes Mal bevor ich auf den Hof getreten bin aus dem Fenster gelugt, um zu schauen ob das Auto vom Prof. Metin irgendwo zu sehen war.
Falls ja -> Hinterausgang und ab in die Stadt
Falls nein -> Aufatmen und lockeren Schrittes hinausgehen...

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wegen was war der denn in behandlung? wegen multipler, mehrsprachiger persönlichkeiten, die alle durcheinander reden und ihm stimmen im kopf machen? *g*
aber alle achtung! ich hätte die magengeschichte als vorwand gebraucht, mich mit hinweis auf die unglaublich schreckliche ansteckungsgefahr und potenzielle todbringende spätfolgen (heliobacter -> magengeschwür) in die quarantäne meines zimmerchen bringen zu lassen...

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Hehehe....schöne Geschichte. Solltest du mal wieder in Richtung Prof. Metin kommen: Er wird dich entweder adoptieren oder seiner Tochter vorstellen. Beides Mal wird er in etwa sagen: "Call mich Papa"

:-)

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@morphin
;-)
Ich weiss leider nicht wegen was der in Behandlung war, aber ich schätze mal irgendeine Form von Manie war sicherlich mit dabei...
Wenn ich mich vernünftig verständliche hätte machen können, hätte ich vielleicht auch versucht mich irgendwann abzuseilen, aber in diesem Fall war das einfach unmöglich...*g*

@GorSchni
*gg*
Ich werds wahrscheinlich gar nicht verstehen, wenn er mich fragt und einfach "Ja" sagen...

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Tolle Geschichte. Mein Beileid, daß du das erleben mußtest. Ich hätte nicht durchgehalten und wahrscheinlich irgendwann einen Tobsuchtanfall bekommen.

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... gut kombiniert! *zwinker

brau bona schließt sich cabman an "Du bist ein höflicher und wohlerzogener Gast."

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Das hört sich irgendwie nach Zeugniskopf an:
"Hui ist ein höflicher und wohlerzogener Gast. Er fügte sich gut in die Gemeinschaft ein und fiel nur durch verschmitztes Grinsen nach Klobesuchen auf."

Sagt mal, hättet ihr die ganze Chose wirklich abgebrochen? Ich war ja nicht krank oder so. Naja, jedenfalls nicht richtig.
Muss ich mir Gedanken machen, dass ich da zuviel Höflichkeit hab walten lassen??? *zweifel*

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...mit Erweiterung: "höflich, wohlerzogen, leidensfähig und mit einem ausdauernden Hang zum Masochismus."

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brau bona? Ist die gute Bona jetzt unter die Bierbrauer gegangen?

on topic: ich bin auch immer so höflich... - ist halt manchmal zu viel des guten, aber dafür wüsste ich spontan nicht viele Leute, bei denen ich schlecht in Erinnerung geblieben wäre ;). Ob ich aber in so einem heftigen Fall von dringend müssen und unverständlich brabbelndem Gastgeber auch so ruhig geblieben wäre, kann ich leider nicht sagen...

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super geschichte! ich staune richtig, wo du schon überall warst, zampano!

ich hätt mich mit sicherheit früher verabschiedet, aber jetzt weiß ja, dass einem so die chance entgeht, etwas ungewöhnliches zu erleben. ;-)

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